Studie über Veränderungen durch Zuzug auf dem Land

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Eine aktuelle Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung zeichnet das Wanderungsgeschehen der vergangenen Jahre detailliert nach und beschreibt anhand von sechs Fallbeispielen, was die neue Landlust für kleine Gemeinden bedeutet. Analysiert wird neben den Themen Infrastruktur und Arbeitsmarkt auch, wie sich das Leben in Dörfern und Kleinstädten durch Bedürfnisse und Erwartungen der Zugezogenen verändert.

Studie untersuchte 6 Beispielregionen

Das Berlin-Institut hat quer durch die Republik sechs kleine Gemeinden, die zuletzt viel Zuzug erfahren haben, jeweils für rund eine Woche besucht, um zu erfahren, wie die neue Landlust das Zusammenleben auf dem Land verändert: das schwäbische Allmendingen in Baden-Württemberg, das am Nord-Ostseekanal gelegene Borgstedt in Schleswig-Holstein, Großharthau in Sachsen, das oberfränkische Mehlmeisel in Bayern, Sanitz bei Rostock in Mecklenburg-Vorpommern und Wanfried im hessischen Teil des Werratals. Mit den Bewohnern mit und ohne offizielle Funktion wurde u.a. darüber gesprochen, wie sie sich das Leben auf dem Land vorstellen und wie sie es erleben und aktiv gestalten.

Es sind vor allem Menschen im klassischen Familienalter zwischen 30 und 49 Jahren mit ihren minderjährigen Kindern und Berufseinsteiger zwischen 25 und 29 Jahren, die ländliche Regionen für sich entdecken. Erschwinglicher Wohnraum, eine gute Verkehrsanbindung, ein schneller Internetanschluss und eine gute Kinderbetreuung locken die Menschen in den Ort. Die Erwartungen an das Leben dort können sehr unterschiedlich sein. Wer selbst auf dem Land aufgewachsen ist und nur vorübergehend in der Stadt gelebt hat, weiß in der Regel, was ihn oder sie erwartet. Manche Zugezogene dagegen müssen das Zusammenleben auf dem Dorf erst (kennen)lernen. Wer in der Anonymität der Großstadt aufgewachsen ist, dem ist neu, dass sich vielerorts auf dem Land etwa auch Unbekannte grüßen, das Interesse aneinander größer und gegenseitige Hilfe selbstverständlich ist. Nicht immer wächst so zusammen, was zusammenwohnt.

Was ein gutes Gemeinschaftsleben fördert

Vereine sind hier ein „Integrationsmotor“, wie es einer der befragten Bürgermeister beschreibt. Vielfältige zivilgesellschaftliche Strukturen sind für das Zusammenleben auf dem Land entscheidend. Im Förderverein des örtlichen Schwimmbads, im Sportverein oder bei gemeinschaftlich organisierten Seniorennachmittagen kommen die Menschen zusammen, lernen sich kennen und tragen zur Gestaltung des Ortes bei. Vereine sind zentrale Anlaufstellen für Zugezogene, um im Ort Fuß zu fassen. Darüber hinaus braucht es öffentlich zugängliche Orte, an denen die Menschen im Alltag zusammenkommen und sich austauschen können. Vielerorts auf dem Land verschwinden allerdings immer mehr Kneipen, Gaststätten oder Bäckereien im Ortskern.

Deshalb braucht es neue Ideen. Damit die Ortskerne wieder belebter werden, packen viele Menschen an und schaffen Treffpunkte. Sie machen aus Brachen und Leerständen lebendige Orte, eröffnen Pop-up-Stores oder Räume für Workshops, Ausstellungen, Konzerte oder Nachbarschaftstreffen.

Wie Gemeinden den Zuzug nachhaltig gestalten können

Die Verantwortlichen in den Rathäusern stehen vor der Aufgabe, den Zuzug nachhaltig und zukunftsgerichtet zu gestalten. Statt Einfamilienhaussiedlungen auf der grünen Wiese auszuschreiben, sollten sie nach Aussagen der Autoren der Studie zuerst die Innenentwicklung vorantreiben. Ortskerne, in denen Häuser verfallen und Begegnungsorte dichtmachen, laden nicht zum Verweilen und zum Austausch ein. Es braucht passende Wohn- und Infrastrukturangebote für alle Alters- und Einkommensgruppen.

Während ältere Menschen barrierefreie Wohnungen benötigen, vermissen gerade Jüngere auf dem Land Mietwohnungen. Mehrfamilienhäuser mit Wohnungen in verschiedener Größe und Ausstattung werden dabei eher den vielfältigen Wohnbedürfnissen gerecht als Einfamilienhäuser.

Neben der Ortsentwicklung müssen die Verantwortlichen vor allem laut Studie auch die sozialen Rahmenbedingen im Blick behalten. Bürgermeister:innen, die offen sind für Ideen und ihre Gemeinde mitreißen können, schaffen es auch, neue Wege zu beschreiten. Arbeiten Gemeinden wertschätzend mit Vereinen zusammen und trauen sich, Alteingesessene wie Neuzugezogene in Planungs- und Entscheidungsprozesse einzubinden, können sich dann auch kleine Orte zukunftsgerichtet aufstellen.

Anmerkung:

Die lesenswerte Studie beschreibt die Chancen aber auch die Herausforderungen für die ländlichen Kommunen durch Zuzug. Wichtig ist, dass sich Städte und Gemeinden auf Neubürgerinnen und Neubürger einstellen und diese integrieren. Die Studie zeigt anhand der Beispiele u.a. welche Bedeutung hierbei Vereine und Veranstaltungen haben.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland lebt auf dem Land und die ländlichen Räume tragen wesentlich zur Wirtschaftskraft Deutschlands bei. Sie haben darüber hinaus ein hohes Potenzial, das in Zeiten enormer Transformationsaufgaben mehr als bisher aktiviert werden muss. Auch mit Blick auf die drängenden Herausforderungen des Klimawandels sind die ländlichen Räume zum Schutz unserer natürlichen Ressourcen und für den Ausbau erneuerbarer Energien von herausragender Bedeutung.

Wenn es gelingt, die richtigen Weichen für die ländlichen Räume zu stellen, stärken wir nicht nur die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, sondern Deutschland insgesamt als Wirtschafts- und Lebensstandort. Aus kommunaler Sicht müssen daher ländliche Räume mehr als bisher in das Blickfeld aller Politikfelder. In einem aktuellen Positionspapier spricht sich daher der Deutsche Städte- und Gemeindebund deutlich gegen drohende Mittelkürzungen bei den Bundesmitteln für die ländliche Entwicklung aus. Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2024 wird aktuell im Bundestag beraten. Er sieht massive Streichungen bei der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) vor.

Weitere Informationen

Die Publikation „Neu im Dorf – Wie der Zuzug das Landleben verändert“ steht als Download zur Verfügung unter: www.berlin-institut.org

Unter https://neuelandlust.de/ steht ein interaktives Webangebot mit zentralen Analyseergebnisse zur Verfügung.

20.10.2023